Dieser Ort galt schon immer als gefährlich.
Der alte Wasserfall am Stadtrand — ein Lieblingsort für Touristen und Jugendliche, aber die Einheimischen wussten: Machst du nur einen Schritt hinter das Geländer, kann der Boden unter dir nachgeben.
Zu rutschig, zu nah am Rand.
Anna kam zum ersten Mal mit ihrem Sohn hierher.
Der kleine Mischa war begeistert: Das Wasser donnerte, in der Luft schwebte ein feiner Regenbogenstaub, alles schien lebendig.
Er lachte, rannte voraus und versuchte, „den Regenbogen mit den Händen zu fangen“.
Mit ihnen war Rex — der alte, gutmütige und ruhige Hund.
Er ging den ganzen Weg neben ihnen, als wüsste er, dass die Verantwortung für das Kind bei ihm lag.
— Mischa, geh nicht so nah heran! — rief Anna.
Doch der Junge hörte sie nicht. Er dachte, wenn er nur ein Stück näher käme, könnte er sehen, wie das Wasser „in die Tiefe der Welt“ fällt.
Plötzlich — ein Knacken.
Der Boden unter seinen Füßen brach weg, und Mischa rutschte hinunter, klammerte sich an die nassen Wurzeln.
Anna schrie.
Sie rannte zum Rand, aber die Erde bröckelte weiter.
Rex sprang zuerst.
Er lief bis an die Kante, bellte und sprang dann auf den Vorsprung, an dem der Junge sich festhielt.
Anna traute ihren Augen nicht — der alte Hund stand über dem Wasser, balancierte mit dem Schwanz und hielt den Ärmel der Jacke des Jungen zwischen den Zähnen.
Mischa hing, und unter ihm tobte der Strom.
Die Sekunden dehnten sich zu einer Ewigkeit.
Anna kroch, ohne sich selbst zu spüren, näher heran und packte ihren Sohn an der Schulter.
Der Hund knurrte, spannte die Pfoten an.
Und — ein Ruck.
Der Junge war in Sicherheit.
Rex fiel neben ihn, schwer atmend.
Er zitterte, doch seine Augen waren ruhig — als wäre das alles nur eine Frage der Ehre gewesen.
Dann kamen die Retter.
Die Einheimischen sagten, der Hund habe sich nur durch ein Wunder nicht in die Tiefe gestürzt.
Anna schwieg, sie streichelte nur Rex über den Kopf.
Am nächsten Tag kehrten sie zum Wasserfall zurück.
Mischa hielt einen Stein in der Hand, glatt wie eine Träne.
Er legte ihn an den Rand und sagte:
— Das ist mein Geschenk für Rex. Damit das Wasser immer weiß, dass er mich gerettet hat.
Seitdem kann man morgens am Wasserfall einen kleinen Regenbogen im Sonnenlicht aufblitzen sehen — genau dort, wo Rex stand.
Und die Leute sagen, es sei nur Lichtbrechung.
Aber Anna weiß: Manchmal erscheint das Licht genau dort, wo jemand etwas Gutes getan hat — einfach, weil er nicht anders konnte.
