Mein Name ist Peter, und ich habe mein ganzes Leben in einer kleinen Küstenstadt verbracht. Das Fischen war mein Beruf und mein Hobby, mein Ausgleich und mein Einkommen. Ich kannte jede Welle, jeden Stein in unserer Bucht. Es schien, als könne mich nichts mehr überraschen. Aber eines Morgens änderte sich alles.
An diesem Tag war das Meer ruhig. Ich warf mein Netz aus und wartete. Das Wasser glitzerte in der Sonne, Möwen kreischten über mir. Plötzlich spürte ich, dass sich mein Netz an etwas Schwerem verfangen hatte. „Wahrscheinlich ein alter Reifen“, dachte ich. Aber als ich es herauszog, machte mein Herz einen Sprung.
In meinem Netz befand sich ein Medaillon. Alt, dunkel geworden, aber mit einem erstaunlich schönen Ornament. Ich nahm ihn ab, wischte ihn ab und sah darin das Porträt einer Frau. Das Gesicht war jung, mit einem sanften Lächeln und Augen, in denen sich Sehnsucht widerspiegelte.
Ich brachte meinen Fund mit nach Hause. Meine Frau lachte:
„Na, jetzt bringst du nicht nur Fisch mit nach Hause.
Aber es ließ mich nicht los. Woher kam dieses Medaillon in unserer Bucht? Wie lange lag es dort schon? Und wer war diese Frau?
Ich fotografierte meinen Fund und stellte das Foto in einer lokalen Gruppe in den sozialen Netzwerken ein: „Weiß jemand, wem das gehört?“ Zunächst meldete sich niemand. Aber zwei Tage später rief mich eine unbekannte Nummer an. Die Stimme am anderen Ende der Leitung war weiblich und aufgeregt:
„Entschuldigung … Haben Sie ein Medaillon mit dem Porträt eines Mädchens gefunden?“
Ich erstarrte.
„Ja. Und wer sind Sie?“
„Mein Name ist Maria. Ich rufe aus einer anderen Stadt an, tausend Kilometer von Ihnen entfernt.“
Dieser Medaillon gehörte meiner Großmutter.
Es stellte sich heraus, dass ihre Großmutter Emilia vor vielen Jahren genau in unserer Stadt gelebt hatte. Sie war die Verlobte eines Seemanns, der jedoch in einem Sturm ums Leben kam. Man sagte, dass sie in dieser Nacht einen Medaillon mit ihrem eigenen Porträt ins Meer geworfen habe – als Symbol des Abschieds. Dann sei sie weggegangen und nie wieder zurückgekehrt.
„Ich kann gar nicht glauben, dass er erhalten geblieben ist“, sagte Maria. „Für unsere Familie ist er ein echtes Erbstück.“
Wir verabredeten uns. Eine Woche später kam Maria in unsere Stadt. Als ich ihr den Medaillon reichte, begann sie zu weinen.
„Sie verstehen das nicht“, sagte sie.
„Ich habe meine Großmutter nie jung gesehen. Und hier … hier ist sie lebendig.“
Wir unterhielten uns lange. Sie erzählte mir, dass ihre Großmutter oft von dieser Stadt gesprochen hatte, von einer „Liebe, die im Meer versunken ist“. Aber niemand in der Familie kannte die Details.
Maria verabschiedete sich von mir und ich dachte: Das Schicksal ist schon eine seltsame Sache. Ich bin nur ein Fischer, der ein Stück Metall aus dem Wasser gezogen hat. Aber für eine andere Familie war es eine ganze Geschichte.
Das Erstaunlichste geschah jedoch einen Monat später.
Ich erhielt einen Brief per Post. Darin war ein Foto. Darauf waren die junge Emilia und ihr Verlobter, ein
Seemann, zu sehen. Und darunter stand: „Danke, dass Sie sie nach Hause gebracht haben.“
Ich schaute mir das Foto genau an und plötzlich wurde mir klar: Das Gesicht ihres Verlobten hatte ich schon einmal gesehen. Mein Herz schlug schneller. Ich holte die alten Familienalben hervor. Und fand es. Auf einem Foto meines Großvaters, das vor vielen Jahren aufgenommen worden war, war derselbe Mann zu sehen.
Ich saß da und konnte mich nicht bewegen. Es stellte sich heraus, dass das Medaillon, das ich gefunden hatte, nicht nur eine fremde Familie mit ihrer Vergangenheit verband. Es war auch Teil meiner eigenen Geschichte.
Und jetzt, jedes Mal, wenn ich aufs Meer hinausfahre, schaue ich auf die Wellen und denke: Manchmal bringt das, was wir vom Meeresgrund holen, auch das zum Vorschein, was tief in uns selbst verborgen ist.
