Die Frau holte ihre Geldbörse heraus, um Kleingeld zu geben – doch im nächsten Moment stand die Welt um sie herum still

Sie stand am Eingang des Supermarkts und hüllte sich in einen Schal, der zu einer nebligen Farbe verblasst war. Der Wind riss ihr den Plastikbecher aus der Hand, raschelte mit dem Zellophan und trieb Staub über den Bürgersteig. Eine Frau ging mit einer Tüte Milch und Brot vorbei, als sie leise hörte:
„Können Sie mir bitte etwas Kleingeld geben?“

Sie blieb stehen und verstand nicht sofort, warum ihr Herz einen Sprung machte. Die Stimme kam ihr bekannt vor – müde, aber irgendwie sanft, als käme sie aus ihrer Kindheit. Sie sah genauer hin: dünne Finger, zitternde Lippen, Augen in der Farbe von grauem Regen. Und plötzlich schien die Welt um sie herum stillzustehen.

Vor ihr stand nicht einfach eine Obdachlose.
Vor ihr stand ihre Schulfreundin – genau die, die einst am lautesten lachte, bei Schulfesten sang und Gedichte in karierte Hefte schrieb.
Diejenige, die davon träumte, Schauspielerin zu werden, in die Hauptstadt zu ziehen und im Scheinwerferlicht zu leben.

Jetzt hatte sie rissige Hände und einen Blick, hinter dem sich alles verbarg: Kälte, Scham und eine Art stille Hoffnung.
Die Frau wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie trat einfach näher, zog ihren Handschuh aus und berührte ihre Finger.
„Du bist es…“, hauchte sie.
Die Freundin nickte und lächelte leicht, als würde sie sich entschuldigen.

Sie standen schweigend da, während Menschen, Autos und der Wind an ihnen vorbeizogen.
Die Zeit schien sich aufzulösen.
Es roch nach Brot und Feuchtigkeit, das Licht drang durch die Wolken und beleuchtete ihre Gesichter.
Die Frau reichte ihr eine Tüte mit Essen und Geldscheinen, aber sie nahm sie nicht an.

„Ich bin nicht deswegen hier“, sagte sie leise. „Ich wollte nur, dass mich jemand erkennt. Einmal.“
Sie drehte sich um und ging, verschwand in der grauen Luft, während die Frau weiterhin dastand – mit der Tüte, schweigend und mit einem Kloß im Hals.

Es begann sanft zu schneien, fast schwerelos.
Und in diesem Schneefall, im Lärm der Straße, im Licht der Laternen war etwas unendlich Lebendiges – und erschreckend Menschliches.

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