Diese Nacht steht mir noch immer vor Augen.
Frostig, durchsichtig, als wäre sie vom Atem selbst gemalt.
Der Mond hing tief, und sein Licht war so hell, dass der Schnee glitzerte,
als hätte jemand Silber über die Erde gestreut.
Die Luft roch nach Heu, nach Rauch aus dem Schornstein und nach etwas Lebendigem — der klingenden Winterstille.
Das Haus stand am Rand des Dorfes.
Drinnen, hinter einer dünnen Wand, schlief ein Kind — warm, friedlich, eingehüllt in eine Decke.
Daneben, im Stall, stand ein Pferd — eine alte graue Stute namens Luna.
Sie schlief nie tief, besonders nicht in solchen Nächten.
Manchmal hob sie den Kopf und lauschte.
Dem Wind, dem Knacken eines Zweiges, dem Rascheln des Schnees.
Aber in jener Nacht hörte sie etwas anderes.
Etwas Weiches, Fremdes, fast lautloses.
Hinter dem Wald bewegte sich ein Schatten.
Zuerst schien er nur ein Klumpen Dunkelheit zu sein,
doch dann blitzten Augen auf — zwei gelbe, wachsame Feuer.
Ein Wolf.
Er ging langsam, sicher, ohne Eile. Der Hunger trieb ihn,
doch sein Blick war kalt, bedacht.
Luna erstarrte.
Ihre Ohren stellten sich auf, der Atem wurde kürzer.
Als der Wolf die Einfriedung betrat, knirschte der Schnee unter seinen Pfoten — leise, aber das genügte.
Sie machte einen Schritt nach vorn.
Ihr Körper bebte, doch ihre Augen blinzelten nicht.
Sie spürte — hinter ihr das Haus, am Fenster das Kind,
und dieser Jäger kam nicht zufällig.
Der Wolf knurrte.
Vor sich sah er Beute,
doch er hatte nicht erwartet, dass das Pferd sich zwischen ihn und das Haus stellte.
Sie hob den Kopf, schlug mit dem Huf — der Klang war dumpf, wie ein Herzschlag.
Sie standen einander gegenüber — zwei Schatten unter dem Mond.
Weißer Dampf stieg aus ihren Nüstern,
wogte zwischen ihnen wie Rauch.
Die Welt stand still. Sogar der Wind schwieg.
Dann sprang der Wolf.
Schnell, wie ein Blitz.
Aber Luna trat vor — mächtig, furchtlos, mit einem uralten, tierischen Instinkt.
Ihre Hufe zerschnitten die Luft, und Schneestaub stob auf wie eine Wolke.
Der Wolf wich zurück.
Knurrte erneut — und versuchte wieder, sich zu nähern.
Doch Luna wich nicht.
Sie stand da, schützend vor dem Fenster,
hinter dem das Kind ruhig atmete.
Vielleicht vergingen fünf Sekunden.
Vielleicht eine Ewigkeit.
Dann senkte der Wolf den Kopf, trat zurück und löste sich in der Dunkelheit auf.
Luna blieb noch lange stehen, bis die Schritte verklangen.
Als der Morgen kam, stand sie immer noch am Zaun.
Im Schnee blieben Spuren — tiefe Abdrücke von Hufen und Pfoten,
nebeneinander, ineinander verschlungen.
Und im Haus, in genau diesem Moment, lächelte das Kind im Schlaf.
Niemand erfuhr je, was in jener Nacht geschehen war.
Aber seitdem, jeden Winter, wenn der Wind heult,
hebt Luna leise den Kopf und blickt zum Wald hinüber.
Und in ihrem Blick liegt etwas Menschliches — Erinnerung, Zärtlichkeit und ein Schwur.
