Anna war immer überzeugt, dass ihre Tochter Lili ein bisschen verwöhnt war.
Nicht, weil sie böse war — sondern weil Lili alles hatte, was Anna als Kind nie besaß.
Puppen, Kleidung, ein Tablet, Tanzstunden, neue Kleider, ein besseres Handy.
Anna arbeitete in zwei Jobs, stand um sechs Uhr auf, kam spät nach Hause, beschwerte sich aber nie.
„Hauptsache, mein Kind hat eine bessere Kindheit als ich,“ sagte sie immer.
An diesem Tag hatte Lili Geburtstag.
Anna suchte lange nach dem perfekten Geschenk und fand schließlich die eine Puppe — groß, schön, mit sonnenfarbenem Haar und einem Prinzessinnenkleid.
Sie gab fast die Hälfte ihres Gehalts aus, aber sie lächelte, weil sie sich die Freude ihrer Tochter vorstellte.
Am Morgen, als Lili die Schachtel öffnete, nahm Anna ihr Handy, um den Moment zu filmen.
Doch anstatt Freude zeigte Lili ein finsteres Gesicht.
— Mama… ich wollte die rosa, nicht die blaue.
— Lili, sie ist genau dieselbe, nur das Kleid ist anders.
— Aber ich will keine blaue! — schrie sie und stieß die Schachtel weg.
Die Puppe fiel zu Boden, das Kleid zerknitterte.
Anna blieb sprachlos stehen.
Den ganzen Tag trug sie ein schweres Gefühl in sich.
Am Abend, als Lili zu einer Freundin ging, saß Anna mit einer Tasse Tee in der Küche und betrachtete die verstreuten Spielsachen.
All das — das Ergebnis von Jahren harter Arbeit, Müdigkeit und Schichten, um sicherzugehen, dass „es ihr an nichts fehlt.“
Und plötzlich wurde sie traurig — nicht wegen ihrer Tochter, sondern wegen sich selbst.
Weil sie Liebe mit Bequemlichkeit verwechselt hatte.
Beim Durchsehen alter Sachen fand sie eine abgenutzte alte Puppe — die, die Lili als kleines Kind hatte.
Ihr Haar war verfilzt, der Arm hing an einem Faden, doch damals trug Lili sie überallhin mit sich.
Anna stellte die Puppe ins Regal und dachte: „Diese hier hat sie wirklich geliebt. Weil ich damals bei ihr war.“
Am nächsten Morgen wachte Lili früh auf.
Mama saß bereits mit einer Tasse Kaffee in der Küche.
Das Mädchen kam schüchtern näher.
— Mama… darf ich die blaue Puppe behalten? Ich habe es mir anders überlegt.
— Natürlich, Lili. Aber nur, wenn du ihr selbst den Zopf flechtest.
Lili holte die Bürste, setzte sich und käm mte vorsichtig das Puppenhaar.
Anna beobachtete sie — und erkannte, dass sie vielleicht zum ersten Mal seit Langem einfach zusammen waren.
Am Abend brachte Lili die Puppe.
— Mama, ich habe sie Emma genannt. Sie wird meine wichtigste sein.
— Warum Emma? — lächelte Anna.
— Weil sie nicht rosa ist. Und ich dachte, ich liebe nur rosa.
Anna lachte leise und spürte, wie etwas in ihr weich wurde.
Manchmal muss man einem Kind nur erlauben zu sehen, dass die Welt auch „eine andere Farbe“ haben darf, um etwas wirklich Wichtiges zu verstehen.
